Zum Hauptinhalt springen
Ratgeber

Aufklärung und Lebensqualität in der Palliative Care

Gesa Betcke

Gesa Betcke

14. Februar 2024

lesezeit

15 min

In diesem zweiten Teil des Interviews mit Gesa Betcke beleuchten wir die Entwicklung der Palliativmedizin, räumen mit Missverständnissen auf und zeigen, dass Palliative Care die Lebensqualität bis zum Schluss in den Mittelpunkt stellt.

Gesa, du bist bereits seit 35 Jahren in der Palliative Care tätig. Wie hat sich der Bereich im Laufe der Jahre verändert?

Heutzutage ist Palliative Care eine anerkannte Fachdisziplin. Man spricht offen und ehrlich über das Sterben und den Tod, drückt dies aber auch einfühlsam aus, unter Berücksichtigung der Befindlichkeit der einzelnen Betroffenen. Viele Patientinnen und Patienten haben grosse Mühe, mit schlechten Nachrichten konfrontiert zu werden. Vielfach braucht es mehrere intensive Gespräche, um sie auf das Kommende vorzubereiten. Für welchen Weg sie sich auch immer entscheiden – die empathische Kommunikation steht im Vordergrund.

Im Mittelpunkt der palliativen Betreuung steht das Ganzheitliche des Menschen; wir berücksichtigen die psychische, physische, soziale und spirituelle Dimension der Patientinnen und Patienten. Ein zentrales und entscheidendes Element für eine umfassende Palliative Care ist die Einbeziehung der Angehörigen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von «unit of care», die eine einheitliche Betreuung der Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen umfasst. Was sich in den letzten Jahren deutlich verändert hat, ist das familiäre Umfeld und insbesondere die Definition der engsten Angehörigen sowie der sogenannten ersten Vertretungsperson. Ziel ist es, jene Person im persönlichen Umfeld der Patientinnen und Patienten zu identifizieren, die die Patientin oder den Patienten vertreten kann, sollte sie oder er selbst nicht mehr in der Lage sein, Wünsche zu äussern. Die Durchführung eines «runden Tisches» dient der Klärung der Ist-Situation und des zu erwartenden Verlaufs der Erkrankung, unter Einbezug der familiären Ressourcen und Belastungen.

Die Stärken der interprofessionellen Zusammenarbeit in der Palliative Care wurden in den letzten Jahren in vollem Umfang erkannt und entwickelt. Die verschiedenen Blickwinkel der unterschiedlichen Professionen führen zu einem Gesamtergebnis von professioneller Dynamik. Zusammen sind wir stark – das ist für mich immer wieder spürbar. Hier ist besonders die Zusammenarbeit zwischen Pflegenden und Ärztinnen und Ärzten im beruflichen Alltag hervorzuheben. Ich glaube, dass beide Seiten allmählich erkannt haben, dass es entscheidend ist, Hand in Hand zu arbeiten. Beide Professionen sind aufeinander angewiesen. Die flache Hierarchie ist somit zu einem weiteren Schwerpunkt innerhalb der Palliative Care geworden.

Gibt es Missverständnisse oder Vorurteile über die Palliative Care, die du hier gerne ausräumen möchtest?

Es gibt schon das Missverständnis, dass auf der Palliativstation «nur gestorben» wird. Aber tatsächlich gibt es auch viele Austritte nach Hause oder Übertritte in eine Langzeitinstitution oder ins Zürcher Lighthouse. Die Patientinnen und Patienten dürfen nur eine begrenzte Zeit auf der Palliativstation im Spital verweilen. Dabei ist das Ziel die optimale Symptomeinstellung. Nach dieser definierten Zeit müssen sie aber die Abteilung wieder verlassen und in eine Langzeitinstitution wechseln, oder mit ambulanter Unterstützung ins häusliche Umfeld zurückkehren.

Es gab auch eine Zeit, in der Palliative Care fälschlicherweise mit dem Thema «Exit» gleichgesetzt wurde, was natürlich nicht korrekt ist. Diese Verwechslung darf nicht stattfinden. Was wir in der Palliative Care bieten, ist die «Palliative Sedation», insbesondere im Endstadium, wenn die Patientinnen und Patienten unter nicht kontrollierbaren Symptomen leiden. In solchen Fällen können wir sie medikamentös in einen kontrollierten Schlaf versetzen.

Ich muss aber schon sagen, weil «Exit» zum Thema geworden ist, konnte auch die Palliative Care wachsen, denn die Themen Sterben und Tod wurden öffentlich diskutiert – allerdings dürfen diese beiden Ansätze, wie gesagt, nicht miteinander verwechselt werden.

Was sind die grössten Herausforderungen, mit denen ihr in eurer Tätigkeit konfrontiert werdet, und wie geht ihr damit um?

Es ist vor allem die grosse Emotion, die von den Patientinnen und Patienten ausgeht; all die Gedanken, die sich um den Begriff «palliativ» ranken. Wenn die sie zu uns auf die Station kommen, dann sagen viele Patientinnen und Patienten sofort: «Aber ich bin noch nicht zum Sterben bereit». In solchen Situationen nehmen wir uns Zeit ihnen und ihren Angehörigen mit viel Fingerspitzengefühl und feinfühligen Gesprächen helfen zu verstehen, dass Palliative Care auch andere Wege eröffnet.

Herausfordernd ist auch, wenn Menschen zu uns kommen, die von ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten nicht ausreichend oder umfassend über das Thema Palliative Care und den Verlauf ihrer Krankheit informiert wurden. Hier ist es unsere Aufgabe, sie so sorgsam wie möglich aufzuklären und sie über ihre Situation und Therapiemöglichkeiten zu informieren.

Hinzu kommen Herausforderungen wie der Kostendruck: Unsere Patientinnen und Patienten dürfen 14 bis 21 Tage bei uns auf der Station in Behandlung sein, danach müssen wir eine Anschlusslösung haben. Dadurch zeichnet sich die Palliativstation auch durch eine gewisse Schnelllebigkeit aus.

Klinik für Innere Medizin

Unser Kompetenzzentrum für Palliative Care

In Situationen schwerer oder chronisch fortschreitender Erkrankung setzen wir uns für Sie ein. Unsere Palliative Care steht für schmerzlindernde Pflege und achtsame Begleitung.

Wir hatten es soeben von Emotionen und Emotionalem – wie gehst du mit den emotionalen Aspekten deiner Arbeit um?

Je länger ich in diesem Beruf bin, desto mehr habe ich gelernt, schneller abzuschalten. Früher habe ich Patientinnen und Patienten gedanklich mit nach Hause genommen, aber jetzt passiert mir das nicht mehr, beziehungsweise nur noch ganz selten. Es hilft mir, mich mit meiner Familie und meinen Freundinnen und Freunden kurz über emotionale Aspekte auszutauschen. Abwechslung und Ablenkung verschaffen mir Spaziergänge mit meinem Hund in der Natur, Musik hören, lesen oder kulturelle Aktivitäten.

Und wie handhabt ihr das im Team?

Fürs Team haben wir viele Gefässe geschaffen, um die emotionalen Aspekte unserer Arbeit zu verarbeiten: Teamsitzung, Pflegefachgespräche und interprofessionelle Fallgespräche. Bei Bedarf können wir auch ethische Fallbesprechungen unter der Moderation von Mitgliedern des hausinternen Ethikforums einberufen, dann, wenn es sich um eine sehr schwerwiegende Situation handelt.

Mehrere abteilungsspezifische Rituale helfen uns im Verarbeitungsprozess. Das «Abschiednehmen im Team», eine monatliche Reflexionsrunde unter Mitwirkung des Seelsorgers, hat sich als wichtige Massnahme zur persönlichen Abgrenzung von belastenden Situationen etabliert. Ein weiteres Angebot sind der tägliche 14 Uhr Rapport zur Situationsbeschreibung des Tagesgeschehens und das wöchentliche Debriefing jeden Freitag. Auch unsere sehr enge Bindung zur Leitenden Ärztin Palliative Care, Dr. med. Katja Albrecht, oder zur Fachexpertin spielt dabei eine wichtige Rolle: Bei einem Problem können wir uns an sie wenden und darüber reden. Zudem haben Silvana Gübeli, Co-Stationsleiterin Spezialisierte Pflegestation, und ich, immer eine offene Tür für unsere Mitarbeitenden und geben ihnen Raum und Zeit, wenn sie mal den Kopf freibekommen oder auch einfach mal ihren Emotionen freien Lauf lassen wollen.

Und eine ganz wichtige Sache: Humor. In unserem Team hilft man sich gegenseitig und es wird oft gelacht.

Wenn wir aus diesem Gespräch eines mitnehmen sollten, was wäre das?

Ich glaube, das Wichtigste ist, im Hier und Jetzt zu leben. Man sollte nichts aufschieben und sagen: «Das mach ich dann später mal oder wenn ich pensioniert bin». Man kann plötzlich lebensbedrohlich erkranken. Es kann Jede und Jeden treffen. Deshalb denke ich immer: «Kommt, lasst uns das Leben jetzt leben. Nichts auf die lange Bank schieben».

Ein weiterer Gedanke, den ich oft bei den Angehörigen höre: Der Partnerin oder dem Partner keine Versprechungen machen, dass man sie oder ihn dann zuhause pflegt, wenn die Person im Sterben liegt. Angehörige bekommen dann oft ein schlechtes Gewissen, wenn es daheim doch nicht möglich ist.

Und nicht zuletzt ist es sinnvoll, eine Patientenverfügung zu machen und sich vorausschauend Gedanken darüber zu machen, was man eigentlich möchte, wenn es einem nicht mehr gut geht, und dass man eine Ansprechperson oder Bezugsperson für diese Themen hat.

Portraitfoto von Gesa Betcke

Gesa Betcke

Co-Stationsleitung Spezialisierte Palliativstation (SPS), Klinik für Innere Medizin

Beitrag teilen

Weitere Beiträge