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Backstage

Mehr als nur eine Geburtshelferin: Alltag einer Hebamme

15. Juni 2023

lesezeit

6 min

Wie sieht ein Arbeitstag im Leben einer Hebamme aus? Natalia Landolf, seit neun Jahren im Spital Zollikerberg tätig, gibt spannende Einblick in ihren Arbeitsalltag.

Unsere Gebärabteilung ist sehr gross. Jedes Jahr kommen bei uns über 2’400 Kinder auf die Welt. Pro Schicht sind es vier Hebammen. Im Tagdienst versammeln wir uns um 7.10 Uhr im Stationszimmer zum Rapport. Die Hebamme der vorherigen Schicht erzählt kurz über die Frauen, die momentan auf der Gebärabteilung sind. So sind wir über die aktuelle Situation informiert und können die Frauen für die Betreuung aufteilen. Oft ist es notwendig, dass eine Hebamme mehrere Frauen betreut, deshalb müssen wir uns im Vorfeld gut absprechen. Nach der Aufteilung findet mit der neuen Hebamme ein ausführlicher Rapport über jede Frau und ihre Situation statt. Dies ist sehr wichtig, um über den Geburtsverlauf, die Risiken und die individuellen Bedürfnisse der Frau informiert zu sein.

Ich betreue Frau M., eine Zweitgebärende, die sich am Anfang der Geburt befindet. Sie kam vor einer Stunde mit Wehen in den Gebärsaal. Nach der Übergabe mache ich mir selbst ein Bild von der Situation, baue eine vertrauensvolle Beziehung zu dem Paar auf, beobachte dann die Frau während der Wehen und frage, wie es ihr geht. Frau M. kommt momentan noch gut mit den Schmerzen zurecht und atmet ruhig durch die Wehen. Ich motiviere sie, durchzuhalten. Es ist sehr wichtig, dass sich die Frauen wohlfühlen und über den Ablauf stets gut informiert sind. Ich überwache den Herzschlag des Babys mit einem CTG-Gerät (Kardiotokografie), zeige dem Partner, wie er bei seiner Frau die Kreuzmassage durchführen kann und bringe Frau M. eine Bettflasche, um die Unterleibsschmerzen etwas zu lindern. Dann lege ich ihr einen venösen Zugang und nehme Blut ab, um das Eintrittslabor zu bestimmen. Sobald ich sicherstellen kann, dass Frau M. im Moment nichts weiter von mir braucht, mache ich mich auf den Weg zur weiteren Betreuung von Frau H.

Frau H. hat vor knapp einer Stunde ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Ich gratuliere den frisch gebackenen Eltern und helfe der Mutter beim Stillen. Anschliessend kontrolliere ich, wie sich ihre Gebärmutter zurückbildet und beobachte die vaginale Blutung. Während Frau M. mir erzählt, wie sie die Geburt erlebt hat, ertönt plötzlich von draussen ein Alarmton.

Eine Kollegin braucht im Zimmer nebenan Hilfe, da der Herzschlag des Babys schlecht ist. Sofort versammeln sich mehrere Hebammen, Ärztinnen und Ärzte in ihrem Zimmer. Sie alle wissen genau, was zu tun ist. Die Herztöne des Babys erholen sich nicht, sodass ein Notkaiserschnitt durchgeführt werden muss. Obwohl es sehr hektisch zugeht, legen wir grossen Wert darauf, das Paar immer wieder kurz über das Geschehen zu informieren. Die Frau wird in die Notfall-OP gebracht und das Kind wird innerhalb von acht Minuten per Kaiserschnitt geboren. Die Kinderärztinnen und -ärzte sind sofort vor Ort und das Baby wird von der zuständigen Hebamme zusammen mit den Kinderärztinnen und -ärzten untersucht und überwacht. Ich helfe der Kollegin, bis sich alles beruhigt hat. Wir sind überglücklich, dass es dem Baby und der Mutter gut geht und das Team aufatmen kann. Ich habe nun kurz Zeit, meine bisherige Arbeit und die Befunde zu dokumentieren.

Nach der Dokumentation gehe ich wieder ins Zimmer von Frau M., denn ich höre sie schon gut von draussen. Sie sagt mir, dass die Wehen viel stärker geworden sind und die Fruchtblase gerade geplatzt ist. Frau M. fragt mich nach Schmerzmitteln. Ich beurteile die Menge und die Farbe des Fruchtwassers und kontrolliere erneut den Herzschlag des Babys mit dem CTG-Gerät. Mit ihrem Einverständnis führe ich eine vaginale Untersuchung durch, um den Geburtsfortschritt zu erfahren und sie so besser über mögliche Schmerzmittel aufklären zu können. Da Frau M. ihr zweites Kind erwartet, schätze ich aus Erfahrung, dass die Geburt schnell verlaufen wird. Die vaginale Untersuchung zeigt eine Öffnung des Muttermunds von 5 cm. Das bedeutet, dass die Geburt bereits fortgeschritten ist. Ich ertaste, dass das Köpfchen richtig eingestellt im Beckeneingang liegt. Frau M. freut sich über den Fortschritt, wünscht jedoch die Periduralanästhesie (PDA) als Schmerzmittel, da sie auch schon ihr erstes Baby mit einer PDA geboren hat. Ich informiere die Mutter über das Vorgehen bei einer PDA. Dann informiere ich die diensthabende Gynäkologin über den Verlauf und das weitere Vorgehen, das ich mit Frau M. vereinbart habe.

Während wir auf die Anästhesistin warten, rufe ich unsere Pflegehelferin an und bitte sie, das Frühstück für Frau H., die nebenan liegt, zu bringen. Ich assistiere der Anästhesistin bei der PDA und überwache Frau M. danach noch eine Weile. Als sie schmerzfrei ist, lagere ich sie in eine Position, die den Fortschritt der Geburt begünstigt und dem Baby hilft, tieferzutreten.

Nun habe ich Zeit, die Erstuntersuchung des Babys von Frau H. durchzuführen. Während der Erstuntersuchung wiege, messe und überwache ich das Neugeborene und helfe Frau H. dann beim Duschen und Frischmachen. Im Hinterkopf habe ich immer Frau M., die sich melden könnte, weil die Geburt schnell voranschreitet. Ich organisiere deshalb die Verlegung von Frau H. auf die Wochenbettstation, da bei ihr nichts mehr ansteht und wir den Gebärsaal für die nächste Frau, die mit Wehen kommt, vorbereiten müssen.

Unmittelbar nach der Verlegung von Frau H. meldet sich Frau M., da sie nun einen Druck nach unten verspürt. Auch im CTG bemerke ich Veränderungen in der Herztonkurve des Kindes, die auf ein Tiefertreten des Köpfchens hinweisen. Ich führe erneut eine vaginale Untersuchung durch und ertaste, dass der Muttermund vollständig geöffnet ist und das Köpfchen in der richtigen Position, in der Beckenmitte, liegt. Ich bereite alles für die Geburt vor und informiere die diensthabende Ärztin über den Geburtsfortschritt.

Ich bleibe nun bei Frau M., die mit jeder Wehe immer mehr Druck nach unten verspürt und bald zu pressen beginnt. Bevor das Köpfchen des Babys draussen ist, rufe ich die Ärztin für die Geburt herbei. Alles verläuft normal und Frau M. darf bald ihr Kind in den Armen halten. Alle Schmerzen sind plötzlich vergessen und Frau M. weiss, dass sich jede Wehe gelohnt hat. Dies ist ein magischer Moment und ich gebe mein Bestes, diesen Moment für die Familie möglichst ruhig zu gestalten. Nach der Plazentageburt und der Versorgung der Geburtsverletzung übergebe ich die Betreuung von Frau M. an die nächste Schicht und kann nun meine Dokumentation beenden.

Während des Dienstes muss ich mich immer wieder mit meinen Hebammenkolleginnen absprechen, die Arbeit neu aufteilen, Telefonate entgegennehmen, den Kontakt zur Wochenbettstation halten, mich organisieren und meine Arbeit am Computer und auf Papier dokumentieren. Ich arbeite stets selbstständig, informiere die zuständige Ärztin über mein Vorgehen und spreche mich mit ihr ab. Auch wenn die Dienste oft sehr hektisch sind, versuchen wir, auf jede Frau einzugehen und ihr ein möglichst positives Geburtserlebnis zu ermöglichen. Wir betreuen die Frauen, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Glauben. Dank unserem breiten Wissen können Hebammen in kritischen Situationen zum Wohle von Mutter und Kind handeln. Denn es ist wichtig, wie wir geboren werden.

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